Fake News

Neue Wege in der Grundschule                         29.07.25

Es gibt wohl nur wenige Themen, bei denen so viel Einigkeit herrscht wie bei der Disziplin in der Grundschule. Schüler werden immer lauter und reagieren immer weniger auf die Ansprache ihrer Lehrer. Deswegen wird an einigen Grundschulen in Deutschland jetzt ein beispielloses Pilotprojekt gestartet. Ich bin hier an einer kleinen Schule in X, den Namen darf ich aus Datenschutzgründen nicht sagen.

Vor der Tür steht schon ein Polizeiwagen. Die Beamten ziehen zwei große Kisten aus dem Kombi und gehen damit zum Lehrerzimmer. In der Schule hat es eben zur Pause geklingelt, die Lehrer haben sich schon interessiert in ihrem Heiligsten eingefunden. Natürlich läuft ein kleiner Neunmalkluger zu einem der Beamten und stellt die bei Schülern fast obligatorische Frage: „Wollen sie mich verhaften?“ Dabei schaut er uns mit einem so unglaublich dämlichen Gesichtsausdruck an, dass ich bei mir denke: Ja, gleich ab mit die in die Klapse.“

Der Befragte, ein schon in die Jahre gekommener Beamter, in dem nicht mehr das Blut der Jugend rauscht, verneint dies ganz sachlich. Als der Kleine dann noch im Weg stehen bleibt, gleitet mein Blick ganz unwillkürlich auf den Schlagstock des Mannes. Der Beamte geht um den Zwerg herum und bleibt weiterhin cool. Klar, er hat ja auch werweißwieviele Deeskalations- Trainingseinheiten mitgemacht.

Im Lehrerzimmer werden wir freundlich vom Direktor empfangen und dem Kollegium vorgestellt. Auf unseren Gruß antworten die Lehrer synchron wie eine Schulklasse. Als der jüngere Beamte die Kiste öffnet und den ersten Taser herausnimmt, geht ein Raunen durch den Raum. Eine etwas altjüngferliche Kollegin reagiert brüskiert: „Also ich weigere mich, mit einem solchen Ding auf ein wehrloses Kind zu schießen. Das ist ja barbarisch.“

Ich stelle mir gerade vor, wie ich den Taser an ihr ausprobiere, da werden meine Gedanken von der Stimme des Direktors überlagert.

„Liebe Kollegin, diese Geräte sind natürlich freiwillig. Sie können gerne konventionell weiterarbeiten.“

Jetzt arbeitet es in ihrem blassen Gesicht unter der angegrauten Lausbubenfrisur, denn das möchte sie offensichtlich auch nicht. Sie lehnt sich zurück und sieht sich erst einmal die Darbietung des Polizisten an. Dieser demonstriert nun die Handhabung des Tasers.

„Im Grunde ist es ganz einfach. Sie zielen mit dem Taser auf den Brustbereich und drücken ab. Dann fliegen zwei Elektroden heraus und versetzen dem Kind eine Serie von Stromstößen. Nach einem kurzen Zappeln herrscht auf dessen Seite erst einmal Ruhe. Wir haben die Geräte schon sehr erfolgreich bei jugendlichen Randalierern eingesetzt.“

Aus dem Augenwinkel erkenne ich den Hauch eines Grinsens, das über das Gesicht des Mannes huscht. Nun reicht er den Taser zur Begutachtung herum. Einige Lehrer äußern sich positiv überrascht, wie leicht er sei und wie gut er in der Hand liege. Den Eindruck kann ich bestätigen. Jetzt muss ich dieses Wundermittel nur noch in Aktion sehen. Ein Lehrer der dritten Klasse bietet sich als erster für einen Test an. Der Mitfünfziger mit Frisur im Harald- Juhnke- Look und klassischer Hornbrille im 50er Jahre Stil wirkt in seiner gezopfmusterten Strickweste nicht unbedingt sehr durchsetzungsstark. Der perfekte Kandidat.

Wir betreten den Klassenraum noch vor dem Klingeln, um der anschließenden Stampede zu entgehen. Und tatsächlich stampfen mit Kriegsgeheul ganze Horden durch das Treppenhaus, schon wird die Klassentür aufgerissen und die ersten Jungen stolpern schreiend und rufend hinein. Dann bleiben sie irritiert stehen, als sie unserer ansichtig werden. Sätze wie Was wollen die denn hier? oder Guck mal, die Bullen! fallen. Der Lehrer bitte um Ruhe, langsam kommen alle auf ihren Plätzen zu sitzen, denn groß ist die Neugier.

„Was wollen die denn hier?“, will ein Rotzlöffel aus der zweiten Reihe wissen.

„Das sind Polizisten und ein Reporter, die wollen uns etwas zeigen, Samuel.“

Seine ruhige Stimme hat etwas von einem Religionslehrer, allerdings fehlt es ihm an der Brutalität des Dechanten meiner Grundschulzeit. Der hätte keinen Taser gebraucht, die schraubstockartigen Griffe seiner beiden Hände hatten ihn immer wieder bei Bedarf in einen Folterknecht verwandelt. Und auch die anderen Lehrer damals wussten ihre Hände gut einzusetzen. Kinder von heute hätten meine Grundschulzeit gar nicht überlebt.  

Der ältere Beamte zeigt nun seinen Taser.

„Haha, eine Spielzeugpistole“, plärrt Samuel schon wieder von seinem Platz.

„Samuel, bitte“, weiß Herr Tietze, der Klassenlehrer sich zu behaupten.

„Peng, peng, hahaha, Made in Hongkong…“ tönt es wieder.

Mit seiner unglaublich stoischen Art schießt der ältere Beamte wie John Wayne aus der Hüfte und verfehlt sein Ziel nicht. Der Getroffene fällt sofort gekrümmt von seinem Stuhl und bleibt als zuckendes Paket auf dem Boden liegen, bis die Krämpfe langsam nachlassen. Die anderen Schüler haben das Spektakel interessiert verfolgt und zum Teil ihre Plätze verlassen. Ein Mädchen kichert.

 

 

„So, dann setzen sich alle wieder hin“, pispert der Klassenlehrer.

Langsam kehren alle wieder auf ihre Plätze zurück. Samuel rappelt sich benommen auf. Der ältere Beamte instruiert uns nun:

„Also mein Kollege und Sie setzen uns jetzt hinten an die Wand. Und Sie, Herr Tietze, halten jetzt ganz normalen Unterricht. Wenn eines der Kinder zu sehr aus der Rolle fällt, bringen sie den Taser zum Einsatz.“

„Also ich weiß ja nicht…“

„Das wird schon.“ Er klopft Herr Tietze beruhigend auf die Schulter und zwinkert dabei. „Ist nur beim ersten Mal schwer.“

Wir nehmen unsere Plätze ein und werden Zeugen eines unglaublich langweiligen Deutschunterrichtes. Ich frage mich, ob wir nicht Herrn Tietze tasern sollten.

Dann kommt seine große Stunde. Ein Riesenbaby mit Popperfrisur und Pausbacken spielt fortwährend den Clown. Herr Tietze sieht unsicher zu den Polizisten hin, doch der Zenmeister nickt ihm aufmunternd zu. Der Lehrer nimmt also den Taser und geht einen Schritt auf den Störenfried zu, der schon angesichts der drohenden Gefahr verstummt. Doch Herr Tietze hat sich gefasst, jetzt muss er handeln. Er zielt kurz und drückt ab. Das kleine Mädchen mit den braunen Zöpfen neben dem Störenfried bricht sofort zusammen und liegt jetzt wie epileptisch auf dem Boden. Herr Tietze schaut verlegen zu uns, während er die schmalen Schultern anhebt.

„Kollateralschaden“, sagt der ältere Polizist trocken zu mir. Sein Kollege grinst wieder, das kannte er wohl. Herr Tietze kommt jetzt zu uns.

„Da habe ich gerade die falsche getroffen. Lara ist die Liebste in unserer Klasse. Sie saß nur neben Rudi, um ihn zu sozialisieren.“

Er schüttelt den Kopf und leidet sichtlich unter seinem Fauxpas. Der ältere Polizist winkt ab.

„Halb so wild, sie kann sich ja schon wieder bewegen. Und schauen sie mal, wie ruhig die anderen jetzt alle sind. Es hat also auch so funktioniert.“

Eine merkwürdige Logik. Das ist so, als würde man einen Passanten anschießen, damit der Einbrecher stehen bleibt. Aber tatsächlich hat es in diesem Fall funktioniert. Den Rest der Stunde gibt es zum Bedauern Herr Tietzes keine Zwischenfälle mehr. Er hatte jetzt Blut geleckt und wollte mehr. Man konnte die Enttäuschung in seinem faden Gesicht erkennen. Beim Klingeln kommt wieder Bewegung in die Klasse, für Herr Tietzes Geschmack offensichtlich zu viel. Ein Junge schubbst ein Mädchen beim Herausgehen im Bereich der Tür. Mit einer völlig unerwarteten Geschwindigkeit greift der Klassenlehrer den Taser und drückt ab. Genau in den Rücken des Täters, der augenblicklich zusammenbricht. Herr Tietzes undefinierbarer Gesichtsausdruck lässt auf tiefe Befriedigung schließen. Dann sieht er uns mit glänzenden Augen an. Wir haben ein Monster erschaffen.

Ich erlebe noch ähnliche Präsentationen in anderen Klassenräumen. Aber keiner der Lehrer trägt Herr Tietzes neu entflammtes Feuer in sich. Später am Polizeiwagen äußere ich meine Bedenken.

„Ich glaube nicht, dass die Eltern das so akzeptieren werden. Die werden auf die Barrikaden gehen.“

Der Ältere beginnt zu schmunzeln. „Das tun sie schon…. Sie wollen jetzt alle so einen Taser haben. Sie haben mittlerweile gemerkt, dass sie mit hohlen Phrasen wie „Ich finde nicht gut, was du tust“ und „Ich bin sehr enttäuscht“ nicht wirklich weiter kommen.  Aber wo kämen wir hin, wenn jetzt jeden tasert?“

Ich verabschiede mich und bleibe nachdenklich. Nur wenig später auf der Heimfahrt muss ich stark bremsen, als ein Teenager auf seinem Mountainbike mich an der Kreuzung schneidet und mir den Finger zeigt. Ein Taser hätte jetzt gut gepasst.

Das war es wieder von eurem Michel, diese Mal aus der Grundschule              29.07.25                                            

Malle ohne Alk                                                     20.07.25

Die Bewohner der beliebtesten deutschen Urlaubsinsel haben seit langem beharrlich um ihr Recht gekämpft. Nun wurden ihre unermüdlichen Bemühungen vom Erfolg gekrönt, der Staat hat reagiert: Alkoholverbot am Ballermann. Hier dürfen künftig nur Fruchtsäfte und Smoothies verkauft werden. Ich bin hier vor Ort und spreche mir den Menschen. Was sagen denn nun die sonst so genervten Anwohner?

Jose, 72: „Ich finde es gut, wenn man morgens zum Bäcker geht, tritt man nicht mehr in Kotze.“

Silvana, 68: „Also die jungen Leute sind alle so nett und höflich. Erst letzte Woche hat mir ein junger Engländer meine schweren Einkaufstaschen nach Hause getragen. Natürlich hat er als Belohnung gleich seinen Fruchtsaft eingefordert.“

Und was sagen die Betreiber am Ballermann?

Rüdiger, 38, Schankwirt aus Leidenschaft: „Also uns is schon die Düse jejangen. Ballermann ohne Alk, wie soll dat denn jehn? Aber ich sach mal, Entwarnung. Läuft jut met de Fruchtsäfte.“

Der Kollege stimmt gleich mit ein. „Wir müssen ganz anders investieren. Bei mir zerkloppt es einen Mixer nach dem anderen, die meisten wollen gerne Smoothies. Sind alle total gesundheitsorientiert.“

Und was meinen die Gäste?

„Geil“, ruft einer im Hintergrund, ist aber nüchtern. Zur Techno Musik schwenkt er seinen Banane- Kirsch.

Kevin grölt zur Bedienung: „Ey, Schnecke, mach mir noch son voll leckeren O-Saft.“

Gut, man kann nicht erwarten, dass sich schlagartig das Niveau der Gäste ändert. Aber den Geschmack, und da stimmt der Andy aus Hagen zu.

„Mal ehrlich, so ein Smoothie schmeckt doch viel besser als ein bitteres Bier. Und ist dabei noch gesund.“

Ein Wort, dass ich ausgerechnet hier nicht erwartet hätte.

„Total Klasse,“ ergänzt Torsten aus Iserlohn. „Wenn wir früher nach einer Woche Malle nach Hause kamen, waren wir immer total am Ende. Jetzt kommen wir voll erholt aus dem Urlaub und können auf der Arbeit sofort wieder Vollgas geben.“

Aber natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Umweltschützer schlagen schon jetzt Alarm.

Annette, 28: „Das sieht ja alles nach eitel Sonnenschein aus hier. Ist es aber nicht. Wo soll denn in Zukunft das ganze Obst herkommen, wenn dieser Trend überhandnimmt. Und im Moment sieht es so aus, als ob viele junge Leute mit dem Alkohol auf Kriegsfuß stünden. Manche nehmen sogar freiwillig Bücher in die Hand.“

„Ein Alptraum, sag ich nur, ein Alptraum.“ Der Mittfünfziger mit deutlichem Bauchansatz gibt sich als Vertreter der Bierindustrie zu verstehen. „Wo soll das noch hinführen? Am Ende legen die noch ihr Handy weg und fangen an, sich richtig zu unterhalten. Wo ist da noch Platz für uns?“

Er zieht mich verschwörerisch zu sich hin und fügt hinzu: „Erst gestern wollte ein tätowierter Bodybuilder mit mir über Kant diskutieren.“ Er schüttelt sich. „Über Kant!“

Langsam geht er gesenkten Hauptes davon. Ich verstehe, er sorgt sich nicht nur um den Umsatz, sondern den offensichtlichen kulturellen Niedergang unserer Jugend. Und er hat Recht, was kommt als Nächstes, B- Promis, die im Dschungel Camp Goethe zitieren? Das kann jetzt wirklich niemand wollen.

Das war euer Michel direkt vom Ballermann.                                                            20.07.25  

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