LKW und mehr

Leseprobe: Das Ende der Fernfahrerromantik

Bedeutung des LKW- Fahrens

LKW sind nicht beliebt. Sie sind groß, laut und fahren ganz sicher dann vor einem, wenn man es nicht möchte, was eigentlich immer der Fall ist. Auch nach meinen vielen Touren als LKW- Fahrer geht es mir genauso. Allerdings begegne ich den Kollegen immer mit Respekt, den sie auch wirklich verdient haben. Und gegen alle gängigen Klischees, an denen viele Menschen so gerne festhalten: Es gibt nicht den LKW- Fahrer. Zigtausende von Menschen auf der Welt fahren LKW und sind alle verschieden. Wenn ich eine Gruppe von Menschen aus einer beliebigen Berufsgruppe oder sozialen Gruppe nehme, gibt es darin immer eine Vielzahl der verschiedensten Charaktere. Genauso ist es bei LKW- Fahrern. Übrigens gibt es bei jeder Gruppe auch immer einen Idioten.

Die meisten Leute sind sich der Bedeutung des Speditionsgewerbes gar nicht bewusst. Es gibt viele Berufe, auf die man ohne größere Konsequenzen verzichten könnte, und ich entschuldige mich jetzt schon bei denen, die ich jetzt nenne. Aber ganz ehrlich, wenn es keine Juweliere mehr gäbe, würde keine Krise entstehen. Und auch das Schließen des Ferrari- Händlers um die Ecke brächte keine gravierenden Nachteile mit sich. So kann jeder für sich selbst einmal überlegen, welche Berufe er für verzichtbar hielte.

Eines aber ist klar, ein Wegfall der LKW- Branche wäre das Ende unserer Zivilisation. Zu dramatisch? Spielen wir es doch einmal durch.

Seit drei Tagen fährt kein einziger LKW mehr. Die Supermärkte sind fast leergekauft, und während ein paar welke Biosalate noch auf ihren Abnehmer warten, gibt es schon lange kein Klopapier mehr. Die Mutter der kleinen Nina war leider nicht darauf vorbereitet, beide sind gerade aus dem Urlaub gekommen, die Vorräte im Kühlschrank und den Regalen sind sehr übersichtlich.

„Mama, ich habe Hunger.“ Ihre Mutter wischt ihr die Tränen aus den Augen und verkündet stolz ihren Einfall.

„Weißt du was? In den Supermärkten finden wir nichts mehr, aber auf der Straße zum Nachbarort gibt es ein paar Bauernhöfe. Da fahren wir jetzt hin. Komm, hol schnell deinen Teddy, wir fahren gleich los.“

Der Hauch eines Lächelns weht über Ninas kleines Gesicht. Gleich darauf sitzt sie angeschnallt auf ihrem Kindersitz und ihre Mutter startet das Auto. Intuitiv wandert der Blick auf die Benzinuhr. Noch ein Viertel. Wären sie nicht so spät aus Italien zurückgekommen, hätte sie nach der Fahrt noch vollgetankt. Jetzt würde sie damit auskommen müssen, die Tankstellen waren so leer wir die Supermarktregale.

Sie kommen nur dreieinhalb Kilometer weit, bis ihre Fahrt in einer langen Autoschlange stoppt. Die Idee mir den Bauernhöfen hatten schon andere. Die einzigen, die von der momentanen Situation profitieren, sind die Bauern, die ihre Waren endlich einmal nicht zu den Dumping Preisen verkaufen müssen, die ihnen die Supermärkte diktieren.

Noch bevor Nina und ihre Mutter einen der Bauerhöfe erreichen, drehen die ersten Autos in der Schlange vor ihnen um. Es gibt nichts mehr. Einen Teil ihrer Waren halten die Bauern für ihren eigenen Bedarf und den von Freunden zurück. Das wird ihnen allerdings nichts nützen, denn in der Nacht kommen die Plünderer, die sich rücksichtslos alles nehmen, was sie finden können. In den Städten sind schon die meisten Schaufensterscheiben eingeschlagen, man sieht Leute mit Fernsehern und Computern unter dem Arm. Die Polizei hat eine zu geringe Stärke um der Situation Herr zu werden. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Haustiere auf dem Teller landen.

Selbst die gut Vorbereiteten, die sich bis zum jüngsten Tag mit Dosengerichten eingedeckt haben, werden im Winter frieren müssen, wenn sie nicht auch volle Öltanks oder Holzvorräte haben. Und resultierend aus der fehlenden Ersatzteillieferung werden immer mehr Systeme ausfallen.

Wir müssen dieses Gedankenspiel, das sicherlich auch seine Schwächen hat, nicht weiter ausbauen. Wir sind keine Gesellschaft von Selbstversorgern mehr, wir sind abhängig von einem System aus spezialisierter Produktion und den dazu gehörenden Lieferketten. Und diese funktioniert nur mit dem von vielen so gehassten Schwerverkehr. Wer wieder einmal genervt hinter einem LKW herfährt, sollte einfach mal daran denken, dass darin ein Mensch sitzt, der mit seinen langen Arbeitszeiten dafür sorgt, dass wir so leben können wie wir leben. Denn letztlich fährt jeder dieser LKW nur für uns.

Ein Frachtstück zu viel

Es war schon Freitagnachmittag, als ich in der Spedition eintrat und an Tinas Tresen in den heiligen Hallen der Disposition schritt.

„Hallo Tina, wie sieht es aus? Habe ich ein freies Wochenende oder fahre ich noch eine Tour?“

„Ich hab hier noch eine Ladung Barcelona. Die ist für Mittwoch, kann aber jetzt schon runter. Hast du Lust zu fahren?“

„Natürlich. Dann bin ich am Wochenende wieder am Strand.“

„Ich habe auch Barcelona, da können wir zusammen fahren.

Ich drehte mich um und sah einen etwas kleineren stämmigen Fahrer mit dunklen Haaren und freundlichem Gesicht.

„Hallo, ich bin Manni!“

„Hallo, ich bin Michel, freut mich! Prima Idee, fahren wir zusammen.“

Ich gab ihm die Hand und bereute es sofort. Manni war nicht ungepflegt, aber irgendwie recht klebrig, eine Vermutung, die sich immer wieder aus Neue bewahrheitete. Wir nahmen beide unsere Papiere und brückten die passenden Ladebrücken auf. Eine halbe Stunde später waren wir schon auf Tour. Mit über acht Stunden Fahrzeit kamen wir noch bis hinter Lyon. Das ersparte uns den üblichen Stau in der Stadt, der uns am nächsten Morgen ganz sicher erwartet hätte.

Damals war die Strecke durch die Stadt noch für LKW geöffnet, was unter anderem zu den häufigen Staus führte; denn es gab keine Autobahn um die Stadt herum, man fuhr zweispurig durch die Metropole und vermischte sich dort mit all den regionalen Anliegern. Mittlerweile ist Lyon für LKW im Transit komplett gesperrt, welche nun die Umgehung über Lyon Ost nehmen müssen. Ich habe allerdings noch keinen Fahrer getroffen, der diese Strecke gerne fährt. Sie führt in einem Bogen um die Stadt, wobei sich Autobahn und zweispurige Nationale abwechseln. Das kostet eine halbe Stunde Zeit und bietet auch dem Auge nicht viel Abwechslung. Außerdem führt die Autobahn in einer Richtung auf einer relativ engen Kurve durch eine Senke, sodass der Fahrer seinen LKW sehr stark verlangsamen muss und an dem folgenden steilen Berg nur mühsam beschleunigen kann.

Aber wie gesagt, wir konnten noch den vorrübergehenden Luxus genießen, durch die Stadt zu fahren und steuerten anschließend einen Parkplatz an, auf dem es noch reichlich Stellplätze gab. 

Wir aßen eine Kleinigkeit, tranken noch ein, zwei Bier zusammen und beschlossen beide, halbwegs früh zu schlafen. Am nächsten Tag fuhren wir weiter bis Spanien. Ich war schon einmal mit meinem LKW in Malgrat de Mar an der Costa Brava  gewesen und wusste, dass da ein großer sandiger Parkplatz gar nicht weit weg vom Strand lag. Manni fuhr mir hinterher, gegen Abend erreichten wir unser Ziel. Wir zogen uns um und verbrachten den Rest des Abends im nahegelegenen Stadtzentrum.

Die Nacht war nicht allzu lang, denn Ausschlafen in Spaniens Sommer ist schwierig, wenn man im LKW liegt. Relativ schnell wird es sehr warm im Führerhaus, das bei unserer Firma durch seine dunkelrote Farbe noch mehr Sonnenlicht schluckte, und man wurde von sich aus wach.

Wir kamen also beide relativ früh aus den Fahrzeugen und frühstückten erstmal eine Kleinigkeit zusammen in einem Straßencafé. Danach gingen wir noch in einen dieser kleinen Supermärkte, die hier in Spanien auch am Sonntag geöffnet haben, und deckten uns mit Proviant für die nächsten Tage ein. Ich verstaute in Ruhe meine Einkäufe im Führerhaus, als Manni mich rief.

Ich muss voranschicken, dass ich eine Ladung aus Japan in meinem LKW transportierte. Das heißt, die ganze Ladung war mit Zollschnur umgeben und verplombt, da es sich um einen Import aus einem Nicht- EU- Staat handelte. Bestimmungsort meiner Lieferung war der Nippon Express in Barcelonas Industriegebiet El Prat.

„Komm mal nach hinten, ich muss dir was zeigen.“

Ich verstand nicht, was er meinte, aber ich erwartete nichts Gutes, denn eigentlich sollte da nichts sein, was man jemandem zeigen sollte. Mein Gefühl trog mich nicht, denn als ich mir das Heck anschaute, sah ich, dass die Zollschnur gewaltsam geöffnet worden war, die Plombe, deren Metallband gekappt worden war, hing noch dran. Ich spürte, wie mich die Wut packte, und während ich noch darüber nachdachte, welches Diebsgesindel wohl in der Nacht meinen Hänger geknackt und wer weiß was gestohlen hätte, verkündete Manni mit bedeutungsschwerer Stimme: „Guck mal, du hast ein Brot auf der Ladefläche.“

Ich konnte den Satz nicht ganz verarbeiten, denn das ergab für mich überhaupt keinen Sinn. Wer nahm denn ein Brot mit auf seinen Raubzug? Mein Gegenüber schien aus unerklärlichen Gründen die Situation zu genießen und forderte mich nun auf, die hintere Tür, die nur leicht herausgezogen war, ganz zu öffnen. Ich kam seinem Wunsch also hinterher und sah nun das Corpus Delicti, was Manni wohl mit Adleraugen durch den Spalt hatte erkennen können. Doch als ich mir den Laib Brot in seiner Verpackung ansah, konnte ich eine gewisse Ähnlichkeit zu dem Brot, dass er zuvor im Supermarkt gekauft hatte, nicht leugnen. Ich drehte mich zu meinem Kollegen um und durchbohrte ihn meinen Augen.

„Sag mal, geht´s noch?“

Er amüsierte sich köstlich, dass sein Spaß eine solche Wirkung erzielt hatte. „Ich habe doch gesagt, du hast ein Brot auf deiner Ladefläche.“ Tatsächlich wollte er mich gar nicht ärgern, er fand es einfach nur komisch.

„Welche Gene fehlen dir eigentlich? Ich habe Zollgut geladen, das nun aber nicht mehr verplombt ist! Jetzt habe ich nicht nur ein Brot, sondern ein Zollproblem. Du als Fahrer musst das doch am besten wissen.“

„Na ja, wenn du es so sagst…“ Er schmollte jetzt, weil sein unglaublich intelligenter Witz versagt hatte.

Er zog sich in seinem Auto um, um zum Strand zu gehen. Es machte keinen Sinn, weiter darüber zu reden. Ich sann noch etwas über die Evolution nach und suchte dann meine Badehose. Mir war allerdings klar, dass ich am nächsten Morgen sehr kreativ würde sein müssen. Denn üblicherweise sah das Protokoll vor, dass in einem solchen Fall der Zoll zur Firma käme, das Abladen überwachen und alle Waren erfassen und auf Vollzähligkeit prüfen würde. Das und die damit verbundenen Formalitäten wollte ich mir jedoch nach Möglichkeit ersparen und beschloss, die Situation anders zu lösen.

Nach einem ausgiebigen Tag am Strand fuhr ich zu unserem Brückenplatz im Industriegebiet El Prat. Die Route an der Küste entlang führt durch viele kleine Ortschaften, deshalb wählte ich den längeren, aber praktikableren Weg über die Autobahn. Dieser Platz, bestehend aus einer Mischung aus Sand und Schotter, an dem links und rechts Ladebrücken unserer Firma abgestellt waren, liegt zwischen Meer und Flughafen im Süden Barcelonas und nur ein paar Straßen vom Nippon Express entfernt. Vielleicht hielt der Imbisswagen an der Kreuzung am Morgen sogar schon einen Kaffee für mich bereit. Ich richtete mich für die Nacht ein und sah nicht ohne Bedenken auf den nächsten Tag. Vielen Dank, Manni. Eigentlich hätte ich mit ihm die Ladung tauschen und ihn mit seinem doofen Brot zum Nippon Express fahren lassen sollen.

Am nächsten Morgen begab ich mich dann frischen Mutes auf den Weg in mein Schicksal. Kaffee hatte ich übrigens noch keinen bekommen. Schon erschien vor meinen Augen majestätisch die neue und großzügig gebaute Lagerhalle des Nippon Express. Langsam fuhr ich meinen LKW rückwärts ein paar Meter vor die Rampe. Er stand strategisch günstig genau in der Fahrspur neben dem Eingang zum Lager, die perfekte Position für meinen teuflischen Plan.

Ich stieg aus, nahm meine Frachtpapiere und drückte sie am Halleneingang einem der Lagerarbeiter, einem kleinen Asiaten, in die ausgestreckte Hand. Er nickte und ging sofort mit mir nach draußen. Jetzt musste es schnell gehen. Anstatt die Treppe zu nehmen, sprang ich von der Rampe, denn der Mann durfte auf keinen Fall vor meinem kleinen Zaubertrick am LKW sein. Schon stand ich am Heck meines Anhängers und hob die Plombe, die ich wieder eingefädelt hatte, etwas an. Einer näheren Begutachtung hätte diese Täuschung niemals standgehalten.

Während ich die Plombe in der Hand hielt, und natürlich trug ich bereits robuste Handschuhe, da das Metallband der Plombe durchaus nicht zu Unrecht als scharfkantig bezeichnet werden konnte, wedelte der Asiate hektisch mit den Armen. Ich wusste genau, was er mir zu verstehen geben wollte, nämlich tunlichst die Plombe verschlossen zu lassen, bis er nachgesehen hatte. Diesen Interessenskonflikt unserer beiden Parteien löste ich zu meinen Gunsten mit einem kräftigen Ruck an der Plombe, die ich dann stolz gen Himmel hielte, als hätte ich gerade seine eigene Anweisung erfüllt.

Erneut wedelte er mit den Armen, dieses Mal jedoch in einer anderen Choreographie, deren Bedeutung ich nicht verstand, mir aber denken konnte. Anscheinend hatte er mir mein kleines Manöver abgekauft, denn er hielt mich jetzt zwar für einen Idioten, wies mich aber ohne weitere Umschweife an, an die Rampe zu fahren, wo dann zügig mit dem Entladen begonnen wurde. Gut nur, dass ich daran gedacht hatte, Mannis Brot von der Ladefläche zu entfernen. Den Nippon Express hatte ich auch weiterhin öfters angefahren, die Abwicklung war immer unkompliziert und schnell vonstatten gegangen.

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